Und auf einmal bekomme ich doch kalte Füße …

Juni 2019: Meine erste Praktikumsstunde auf dem Weg zur Sterbebegleiterin

Es ist kurz vor 16 Uhr. In einem kleinen Dorf in der Nähe von Witzenhausen warte ich am vereinbarten Treffpunkt auf Annette, die Koordinatorin und Leiterin der Hospizgruppe Witzenhausen.

Wir fahren gemeinsam zum Haus der Frau, die ich ab sofort während meiner Praktikumsphase als Sterbebegleiterin besuchen gehen darf. Nein, die Frau liegt nicht im Sterben. Bei Gerda, wie ich sie ab sofort einfach nennen werde (Name geändert), handelt es sich um eine Dame Anfang 70, die zwar körperlich etwas beeinträchtigt, sonst aber noch recht fit ist. Insgesamt 12 Stunden verteilt auf 12 Termine werde ich voraussichtlich mit Gerda verbringen und sie mit mir.

Es ist nicht unüblich während der Praktikumsphase zum Sterbebegleiter zunächst einmal zu älteren Menschen zu gehen (ob im Heim oder zu Hause), die nicht akut im Sterben liegen, sich aber über Besuch freuen würden. Ehrlich gesagt, hätte ich mir genau das zu Beginn meines Wunsches Sterbebegleiterin zu werden, nicht für mich vorstellen können. Schließlich wollte ich ja Menschen beim Sterben begleiten und sie nicht zum Zeitvertreib besuchen gehen. Doch auf einmal ist alles ganz anders.

Ich bekomme kalte Füße

Nach Ende des Vorbereitungskurses bekomme ich auf einmal kalte Füße und mir scheint es ein wenig überfordernd, direkt zu einem Menschen zu gehen, der im Sterben liegt, ob ganz akut oder einfach, weil er die Diagnose „austherapiert“ erhalten hat. Nein, so ganz auf mich allein gestellt, scheint mir das jetzt auf einmal doch noch eine Nummer zu groß. Was ich mir hingegen sehr gut vorstellen könnte, wäre bei den Besuchen eines bereits erfahrenen Sterbebegleiters mitzugehen. Und das werde ich demnächst ziemlich sicher auch tun. Doch bis es so weit ist, kam das Angebot, Gerda zu besuchen.

Da ich unbedingt noch vor Abreise zu unserer Sommertour mit dem praktischen Teil der Fortbildung beginnen wollte und mir ein langsames Vortasten auf einmal doch mehr entsprach, hab ich das Angebot angenommen. Und eben war es dann so weit. Gerda und ich haben uns kennengelernt. Und ja, es war seltsam in der Wohnung einer fremden Dame zu sein, die meine Oma hätte sein können (Ups, so ganz richtig ist das wohl nicht, meine Mutter wäre inzwischen ja auch schon Anfang 70. Wie die Zeit vergeht! Ich bin mir wohl nicht immer so bewusst darüber, wie viele Jahre ich schon in diesem Körper stecke …). Aber Gerda machte mir den Einstieg leicht.

Sie war sofort kommunikativ und wir hatten beide keine Hemmungen miteinander ins Gespräch zu kommen. In der Wohnung von älteren Menschen hängen ja auch oft Bilder von der Familie und die bieten für den Einstieg schon mal regen Gesprächsstoff. So erfahre ich bereits in den ersten Minuten, dass Gerda zu ihrer Tochter und deren beiden Kindern gerade keinen Kontakt hat. Das finde ich schade, aber so recht rausrücken, was der Grund für die Missstimmung der beiden ist, wollte sie nicht – und muss sie ja auch nicht.

Ich erfuhr, dass Gerdas Mann vor ein paar Jahren gestorben ist und das ihr das sehr schwer gefallen ist. Anschließend wurde sie stark depressiv, doch seit sie dagegen Medikamente nimmt, geht es ihr einigermaßen gut. Zumindest, was die Stimmung angeht. Denn Gerda hat oft starke Schmerzen durch ihr Rheuma. Aber wer jetzt glaubt, dass sich Gerda hängen lässt, hat sich getäuscht.

Einmal die Woche trifft sie sich mit anderen Frauen zu Kaffee und Gesprächen, einmal in der Woche mit einer anderen alleinstehenden Dame zum Kartenspielen und auch sonst ist Gerda recht aktiv im Dorf. Sie pflanzt noch selbst Tomaten und ein wenig anderes Gemüse an, geht zur Ergotherapie und Gymnastik und fährt noch Auto. Nur morgens und abends erhält sie Unterstützung durch die Diakonie.

Mir scheint, dass Gerda eine Dame ist, die sich so leicht nicht unterkriegen lässt und immer noch am Leben Gefallen findet. Geistig macht sie einen sehr fitten Eindruck, auch wenn sie mir erzählt, dass sie sich darüber ärgert, dass sie immer öfter Dinge und vor allem Namen vergisst. Am Wochenende war sie sogar abends in einem Kabarett.

Ursprünglich stammt sie übrigens aus einer deutschen Großstadt und auf meine Frage, was einen von dort nach Nordhessen verschlägt, antwortet sie klar und deutlich: „Die Ruhe und die Natur!“. Das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Und obwohl ich es nicht darauf angelegt habe, kommen wir mehrmals auf den Tod zu sprechen. Spontan frage ich sie, was sie glaubt, was nach dem Tod passiere. Erst ist sie kurz stumm, dann sagt sie, dass sie sich diese Frage auch manchmal stelle. Dann ist wieder Stille. „Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass da nichts ist.“, mache ich den Anfang. „Nein, da ist was. Eine höhere Macht, ob man sie Gott oder Allah nennt, ist doch einerlei.“, antwortet Gerda.

Nun werde ich mutiger und sage, dass ich meine Mutter nach ihrem Tod an dem Tag der Beerdigung gespürt habe und mein Bruder auch. „Mein Mann hat mich nach seinem Tod auch einmal besucht, aber nur einmal, leider“, erzählt mir Gerda jetzt und schildert mir, dass sie damals genau hier auf der Couch gelegen habe, wo wir jetzt saßen, als sie seine Stimme hörte. Er sprach sie mit ihrem Kosenamen an, eben so, wie er sie immer gerufen hatte, und sagte, dass es nun Zeit sei, Kaffee zu trinken. Und tatsächlich passierte das genau zu der Uhrzeit, zu der sie früher immer gemeinsam Kaffee getrunken hatten.

Ja und damit war die Stunde auch schon fast vorbei. In ein paar Tagen gehe ich wieder zu Gerda und ich bin gespannt, über was wir uns dann unterhalten werden.

Zweiter Besuch bei Gerda

Heute möchte Gerda mit mir im Dorf zu ein paar Geschäften zum Einkauf gehen. Als langjährige Vegetarierin fordert mich der Besuch beim Metzger ganz besonders. Allein den Geruch finde ich unerträglich. Eine gute Übung für mich andere nicht für ihr Tun zu verurteilen.

Es ist heiß und Gerda kostet jeder Schritt sichtlich Mühe. Wirklich ins Gespräch kommen wir nicht. Der Einkauf zieht sich und ich frage mich zwischendurch, was ich da eigentlich mache. Ich meine, Gerda ist zwar jetzt nicht die Allerfitteste, aber trotzdem so weit selbstständig und – wenn nichts Unerwartetes passiert – weit davon entfernt, zeitnah zu sterben. Hm, ob so eine Besuchsbegleitung wirklich das ist, was ich möchte? Andererseits wollte ich ja nun unbedingt bereits mit dem Praktikum loslegen. Ich bin ein wenig mit der Situation am Hadern.

Besuch Nummer 3

Da es beim letzten Mal etwas länger geworden ist, haben Gerda und ich vereinbart, dass ich heute nur eine dreiviertel Stunde bleibe. Draußen ist es wieder heiß. Am Morgen war Gerda schon unterwegs, beim Arzt und zum Einkaufen. Jetzt ist sie müde. Wir sitzen in ihrer Küche.

Erstaunlicherweise finden wir wieder einen recht guten Draht zueinander und die Gespräche gehen recht tief. Wir reden über den Konflikt mit ihrer Tochter, gesundheitliche Themen, aber auch übers Sterben und was danach kommt.

Irgendwie rutscht mir raus, dass ich mir beim Gedanken an den Tod doch etwas mulmig zumute ist. Sobald ich das gesagt habe, tut es mir auch schon wieder leid. Ich möchte Gerda (und andere Menschen, die ich mal begleiten werde) ja nicht verunsichern, sondern eigentlich Trost und Kraft spenden. Aber Gerda reagiert gelassen und meint, dass das besser wird, je älter man wird. Man gewinne mit den Lebensjahren auch mehr Weisheit.

Sie erinnert sich noch gut daran, dass damals, als ihre Großeltern starben und ihren letzten Atemzug getan hatten, die Angehörigen die Fenster öffneten, damit die Seele entweichen kann. Wir sind uns einig: Da gibt es etwas, was man weitläufig als Seele bezeichnet, und das fängt nach dem Tod ein neues Leben an.

Und trotzdem ein wenig nervös vor dem, was dann auf uns zukommt, wenn wir gestorben sind, habe ich. Doch auch hier sind wir uns einig, dass das menschlich ist. So, wie wir im Leben ja auch nervös sind, wenn wir eine Reise antreten, den Job wechseln oder umziehen. Das Unbekannte macht eben auch nervös.

Gerda hat keine Angst vor dem, was danach kommt. Sie möchte nur, dass das Sterben an sich schnell geht und sie keine Schmerzen leiden muss. Auch da sind wir uns wieder einig, wer möchte schon gerne leiden oder seinen Lebensabend immer unselbstständiger werdend verbringen …?

Keine weiteren Besuche

Weil Gerda spontan zu einer Kur kann und die nächste Woche nicht zu Hause ist und wir ab übernächster Woche mit dem Wohnmobil unterwegs sein werden, wird es erst einmal keine weiteren Besuche mehr geben. Mal sehen, wie es dann im Oktober, wenn wir wieder zurück sind, mit meiner Praktikumsphase als Sterbebegleiterin weitergeht. Ich werde berichten …

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