Die inneren Kampfkünste Chinas
In China unterscheidet man zwischen inneren und äußeren Kampfkünsten. Was bedeutet das genau? Erfahren Sie hier mehr über lang gehütete Geheimnisse, Gesundheitspflege und effektive Selbstverteidigung.
Kampfsport ist nicht gleich Kampfkunst
Viele Kampfsportarten entstanden aus Kampfkünsten. Im Sport geht es um Sieg oder Niederlage, den Wettstreit, Regeln usw. In einer Kunst ist das Augenmerk auf die persönliche Entwicklung und Entfaltung gerichtet. Es geht darum, das eigene Selbst mittels einer Kunst zu kultivieren und zu vervollkommnen.
Unter der Vielzahl solcher Künste stellen die Kampfkünste eine pragmatische Lehr- und Kultivierungsmethode dar. Die meisten Stile und Methoden wurden mehrere Tausend Jahre nur innerhalb einzelner Familien und Clans weitergereicht. Niemals wurde ein Nichtfamilienmitglied unterrichtet oder in altes Wissen eingeweiht.
Doch in den letzten Jahren hat sich einiges getan. Immer häufiger entschließen sich die Meister und Bewahrer eines solchen Wissens, jeden zu unterrichten, der ernsthaft lernen möchte. So werden auch bei uns im Westen mittlerweile Kampfkünste, Meditationen und bislang geheim gehaltene Wege zur eigenen Entwicklung angeboten. Aber auch hier gilt es zu unterscheiden, denn Kampfkunst ist nicht gleich Kampfkunst. In China unterscheidet man zwischen innerer und äußerer Kampfkunst und Mischstilen.
Die äußeren Kampfkünste
Zuerst tauchten bei uns im Westen sogenannte äußere Kampfkünste auf. Hierzu gehören die meisten Judo- und Karatestile, viele Kungfu-Systeme, wie z.B. nördliches Shaolinkungfu, Thaiboxen, Tae-kwon-do, um nur einige zu nennen. Diese Systeme arbeiten hauptsächlich mit physischer Kraft und Leistungsfähigkeit.
Körperliches Training zur Steigerung von Muskelkraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit nehmen einen großen Teil des Trainings ein. Das Training gleicht dem von Leistungssportlern: je besser die konditionelle Verfassung ist und je eingeschliffener die Techniken sind, desto effektiver lässt sich die Kampfkunst einsetzen. Die äußeren Kampfkünste legen viel Wert auf Explosivität und Schnelligkeit, Aggressivität und Körperkraft.
Das Training ist sehr hart und sowohl körperlich, als auch mental anspruchsvoll. Der Sympatikus, der Teil des Nervensystems, der für Kampf und Flucht zuständig ist, wird geschult. Der Sympatikus stimuliert die Adrenalinausschüttung und aktiviert unser Nerven- und Muskelsystem für schnelle, explosive und aggressive Bewegungen.
Die inneren Kampfkünste
Die inneren Kampfkünste scheinen das komplette Gegenteil zu verkörpern: Es geht um Entspannung und Weichheit, statt um Muskelkraft und harte Techniken. Die inneren Kampfkünste basieren alle auf der daoistischen Sichtweise und deren Verständnis des Kosmos. Alles basiert auf Chi, der kosmischen Lebensenergie, die alles durchdringt und aus der alles entsteht. Chi ist der Anfang und das Ende allen Seins. Ohne Chi funktioniert gar nichts, auch keine körperliche Bewegung. Wohlbefinden, Gesundheit, Glück und Erfolg, alles hängt von der Pflege und Kultivierung des Chi ab.
Innere Kampfkünste konzentrieren sich auf diese Kultivierung und Pflege. Hier werden keine aggressiven Techniken mittels großer Muskelanspannungen trainiert. Hier geht es sogar darum, die Muskeln vollkommen zu entspannen. Zu viel Spannung in Muskeln oder Sehnen blockiert nämlich den freien Fluss von Chi im Körper. Aus diesem Grund beginnt der Schüler am Anfang mit Übungen, die den freien Chifluss im Körper wieder herstellen. Überschüssige Spannungen und energetische Blockaden, die sehr viel Energie verbrauchen und auf Dauer unserer Gesundheit schaden, werden aufgelöst.
Krankheit entsteht aus daoistischer Sicht nur dann, wenn die Lebensenergie nicht frei im Körper zirkuliert und einige Bereiche zu wenig und andere zu viel Energie bekommen. Aus solchen Ungleichgewichten entstehen mit der Zeit körperliche Symptome.
Erst wenn der Körper richtig funktioniert und gesund ist, beginnt der Schüler mit dem Erlernen der eigentlichen Kampfkunst. Aus diesem Grund sind innere Kampfkünste auch bei älteren und körperlich geschwächten Menschen sehr beliebt, da sie eine ausgezeichnete Methode der Heilung und Gesundheitspflege darstellen.
Jede der inneren Künste verfügt über ein eigenes Repertoire an Qigongübungen, Meditationen, Übungen zur Entspannung der Muskeln und des Nervensystems. Im Gegensatz zu den äußeren Künsten aktivieren die inneren Kampfkünste den parasympatischen Teil unseres Nervensystems, der das Gegenteil zum Sympathikus darstellt. Der Parasympatikus ist zuständig für Entspannung, Ruhe, Regeneration und die Beseitigung von jeglichem Stress. Auf rein nervlicher Ebene führen die äußeren Kampfkünste zu mehr Spannung, Aggressivität und Stress, wobei die inneren Künste genau diese Zustände verringern.
Die inneren Kampfkünste stellen einen interessanten und effektiven Weg dar, Gesundheit und Wohlbefinden zu verbessern und sich als Individuum zu entwickeln. Zusätzlich erlernt man ein hoch effizientes Kampf- und Selbstverteidigungssystem. Im Rahmen dieser Artikelreihe stellen wir Ihnen einige der inneren Kampfkünste vor und erläutern deren Prinzipien.
Hallo, ihr Lieben.
Dieser Artikel ist zwar schon etwas älter, aber er gehört auf jeden Fall in euren Fundus. Ich finde es erstaunlich, wie vielfältig euere Beiträge sind.
Die Einteilung der Kampfkünste in Kategorien (innen, außen, hart, weich, daoistisch, buddhistisch, nord, süd, zivil, militärisch) ist weit verbreitet. Sie ist recht willkürlich und trifft in kaum einem Fall zu. Da ist es kein Wunder, dass man selbst in Asien verschiedene Angabe hierzu macht und sich keinesweg einig ist, was die Zuteilung angeht. Diese Einteilung ist auch nicht alt. Fast alle Attribute, die einen Stil kennzeichnen sollen, finden sich ebenso in Schulen anderer Zuordnungen.
Im Shaolin-Kloster trainiert man ebenso daoistische Übungen, wie es bei Wudang-Quan auch Shaolin-Übungen gibt. In beiden Ausbildungsorten waren die KK für kürzere oder längere Zeit ganz oder nahezu ausgestorben, so dass von überall Einflüsse aufgenommen wurden. Zivile und militärische Ausbilder brachten ihr Wissen ein, so wie buddhistische und daoistische Mönche ihr Wissen mit weltlichen Lehrern teilten.
Die Einteilung in innere und äußere Schulen ist in gewisser Weise am problematischsten, weil es eine gewisse Ansicht erzeugen kann, eine Erwartungshaltung, die unrealistisch ist. Alle kulturellen Belange finden sich in allen Schulen der KK. Man kann sie nicht beliebig der einen oder anderen Schule zuordnen. Das ursprüngliche Taiji stammte zu einem großen Teil aus einem militärischem Umfeld und war recht hart. Sieht man nur den Wu-Stil an, ohne z.B. den Chen-Stil mit einzubeziehen, wird das Taiji ein unscharfes Bild erzeugen. Ebenso finden sich im Shaolin-Quan sehr weiche Übungen, die ohne Weiteres aus einem sogenannten „weichen“ Stil stammen könnten. Und vielleicht hatten sie dort ihren Ursprung. Gong, wie das Yijinjing, erfüllen alle Attribute einer sogenannten „inneren, weichen, daoistischen“ Schule, obwohl sie im „äußeren, harten, buddhistischen“ Umfeld entstanden sind. Dazu kommt, dass man die meisten Übungen auf vielerlei Art und Weise ausführen konnte und dies auch hin und wieder tat.
Hallo Frank,
ich bin mal wieder begeistert durch Deine Ergänzungen und Richtigstellungen.
Außer Dir kenne ich niemanden, der auch nur annähernd ein ähnlich tiefes und breit gefächertes Wissen zu diesen Themen hat und dazu noch so viel praktische Erfahrung!
Deshalb freue ich mich über jedes Detail, das Du mit einbringst und bin für jede Korrektur dankbar.
Herzliche Grüße
Jens