Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
Um authentisch und ehrlich kommunizieren zu können, ist das Erkennen und Ausdrücken der eigenen Gefühle unerlässlich. Doch leider sind wir es gewohnt, Gefühle auf eine Art und Weise auszudrücken, die den Eindruck erhebt, der andere sei für unsere Gefühle verantwortlich.
Wenn wir sagen: „Du machst mich wütend!”, „Du enttäuschst mich” oder „Das verletzt mich”, dann leugnen wir die Eigenverantwortung unserer Gefühle und machen äußere Faktoren für unsere Stimmungen verantwortlich.
Vielleicht wendest Du nun ein, dass das Verhalten anderer oder äußere Umstände wirklich oft der Auslöser für Deinen Unmut ist.
Wenn der Partner zu wenig im Haushalt mit hilft, das pubertierende Kind zu spät nach Hause kommt oder einem der Bus vor der Nase davon fährt, dann ist es doch offensichtlich, dass der Ursprung unserer Gefühle nicht in uns selbst, sondern im Äußeren liegt, oder etwa nicht?
So ganz kann ich dem nicht zustimmen. Zwar können andere Menschen bzw. äußere Umstände bestimmte Gefühle in uns hervorrufen, doch was nicht bereits vorab in uns vorhanden ist, kann auch nicht durch irgendwen oder -etwas ausgelöst werden.
Lass uns zum besseren Verständnis einmal zwischen zwei Dingen unterscheiden: Zum einen zwischen dem Auslöser (also einem Verhalten einer Person oder einer Situation, was tatsächlich im Außen liegt) und zum anderen zwischen der Ursache für unsere Gefühle: unseren Erwartungen, Sehnsüchten und Bedürfnissen. Denn die Ursache unserer Gefühle liegt ganz allein in uns selbst.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Der Auslöser für Gefühle liegt im Außen, aber die Ursache im Inneren
Die drei Freunde X, Y und Z fahren zusammen in Urlaub und verbringen die Tage gemeinsam. Wieder zurück in der Heimat befragt der gemeinsame Freund Ö, wie ihnen denn der Urlaub gefallen habe. X antwortet: „Total langweilig. Man konnte nur am Strand liegen und nichts unternehmen. Echt frustrierend und schade ums Geld.”
Y dagegen meint: „Ich fand´s total klasse, so richtig schön erholend und entspannend. Was will man im Urlaub mehr als faul in der Sonne liegen!?”
Und Z erzählt: „Also ich bin enttäuscht, ich hab mir mehr von dem Hotel und dem Essen erhofft. Mein Anspruch an Qualität und Leistung wurde nicht erfüllt.”
Wie wir sehen, fühlen die drei Freunde etwas völlig Unterschiedliches: X ist frustriert, Y erholt und Z enttäuscht – und das, obwohl sie dieselbe Reise hinter sich haben. So kann der gemeinsame Urlaub zwar als der Auslöser für die jeweiligen Gefühle betrachtet werden, doch der Ursprung liegt in den jeweiligen Erwartungen und Bedürfnisse der einzelnen Freunde.
X hatte wohl das Bedürfnis nach Abwechslung und Aktion und langweilte sich daher. Y dagegen kam dieses am Strand liegen gerade recht, weil er sich nach Erholung und Entspannung sehnte. Und der letzte im Bunde, Freund Z, erwartete vor allem kulinarischen Genuss und wohnlichen Komfort und ist jetzt enttäuscht.
Bei allen war also nicht der Urlaub an sich bzw. die äußere Situation „Schuld” für die Gefühle, sondern die eigenen Erwartungen und Vorstellungen, die jeder für sich an den Urlaub geknüpft hatte.
Und so kann auch ein Verhalten anderer jeweils nur der Auslöser für unsere unangenehmen Gefühle sein. Die Ursache sind auch hier unsere Erwartungen und Sehnsüchte.
Die Verantwortung für die eigenen Gefühle im Gespräch mit anderen übernehmen
Sind es ungute Gefühle wie Ärger, Unmut oder Verletzung, die durch einen anderen Menschen ausgelöst werden, dann ist in einem Gespräch mit der jeweiligen Person sehr wichtig, dass wir die Verantwortung für unsere Gefühle übernehmen. Ansonsten hört unser Gegenüber schnell Angriffe und Vorwürfe. Statt eines klärenden und einfühlsamen Gesprächs folgen dann oft Gegenangriff oder Verteidigung.
Statt zu sagen: „Wenn Du mir im Haushalt nicht hilfst, dann bin ich frustriert” und somit die Verantwortung zu leugnen, wäre es besser unsere Gefühle mit unseren Werten/Sehnsüchten/Erwartungen zu verbinden.
An das „Wenn Du …, bin ich …” hängen wir dann einfach noch ein „weil mir …. wichtig ist” oder „weil ich … erhofft habe”.
Aus unserem Beispielsatz wird so zum Beispiel „Wenn Du mir im Haushalt nicht hilfst, dann bin ich frustriert, weil mir eine gleichgewichtige Verteilung der Hausarbeit wichtig ist”.
In der zweiten Variante übernehmen wir selbst die Verantwortung für unsere Gefühle und unterscheiden ganz klar zwischen Auslöser und Ursache. Das hilft dem anderen, unsere Verletzung zu hören und verständnisvoll darauf zu reagieren, statt sich schuldig zu fühlen oder sich mit Gegenvorwürfen zu verteidigen.
Folgend ein paar Beispiele zum Üben.
Kommunikationsübung: Die Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen
1) Die 15-jährige Tochter kommt statt wie vereinbart um 22 Uhr erst um 23:30 Uhr nach Hause, die Mutter ist enttäuscht und will solche Situationen für die Zukunft vermeiden. Wie drückt sie das am geschicktesten aus?
2) Der Chef kommt am Freitagnachmittag eine Stunde vor Wochenendbeginn und betraut eine Angestellte mit einer Aufgabe, die sie mindestens 2 Stunden kosten würde. Diese will aber nach Hause und endlich in ihr wohl verdientes Wochenende starten, gleichzeitig aber auch nicht ihren Chef enttäuschen. Was soll sie sagen?
3) Anja dekoriert die Wohnung, ihrem Partner gefällt das ganz und gar nicht. Sie ist traurig und frustriert. Wie teilt sie sich am besten mit?
Lösungsvorschläge:
Im Beispiel 1 könnte die Mutter statt „Ich bin enttäuscht, weil Du so spät kommst” oder „Du enttäuschst mich, wenn Du so spät kommst” sagen „Wenn Du später als verabredet nach Hause kommst, bin ich enttäuscht, weil mir Pünktlichkeit/Verlässlichkeit wichtig ist. Außerdem mache ich mir dann Sorgen, weil ich Angst um Dich habe. Wie können wir in Zukunft sicherstellen, dass die Abmachungen, die wir treffen, eingehalten werden?”
Wenn sich die Mutter so oder ähnlich ausdrückt, dann erhöht sich dadurch die Chance sehr stark, dass die Tochter die Angst und die Sorge spürt, statt wie sonst einen Angriff auf ihre Freiheit zu befürchten.
zu 2) Die Angestellte könnte, statt den Mund zu halten und einfach die Aufgabe zu erledigen und mit Frust ins Wochenende zu starten, ihrem Chef sagen:
„Wenn Sie mir kurz vor Arbeitsende eine Aufgabe geben für die ich mindestens eine Überstunde machen müsste, dann bin ich irritiert, weil ich auf der einen Seite gerne pünktlich ins Wochenende starten möchte und auf der anderen Seite gerne eine zuverlässige Angestellte bin. Reicht es, wenn ich mich sofort am Montag der Aufgabe widme?”
Falls das nicht möglich ist, könnte man auch eine andere Lösung finden. So zum Beispiel am Montagmorgen eine Stunde früher beginnen; die Arbeit mit nach Hause ins Wochenende nehmen; die Arbeit sofort erledigen, dafür am Montag früh noch 2 Stunden länger frei oder an einem anderen Tag.
Auf jeden Fall wird der Chef, sofern er kein rücksichtsloser Geselle ist, die Zwickmühle der Angestellten erkennen können. Und da ein wirklicher Chef weiß, dass zufriedene Mitarbeiter am effektivsten und besten arbeiten, wird er sicherstellen, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten okay ist.
zu 3) Natürlich könnten Anja ihrem Partner nun an den Kopf werfen, wie ignorant er mal wieder ihrer Mühe gegenübersteht. Sie könnte aber auch die Verantwortung für ihre Gefühle übernehmen, indem sie ausdrückt:
„Wenn ich mir so viel Mühe gebe, dann bin ich enttäuscht und frustriert, wenn Dir meine Arbeit nicht gefällt, weil mir Anerkennung so wichtig ist. Außerdem bin auch ein bisschen traurig, weil ich gehofft hatte, Dir gefällt es auch.”
Was meinst Du, welche Strategie ist besser, für die Harmonie der Partnerschaft?