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In Konflikten sind Du-Botschaften manchmal authentischer und lösen Spannungen
Humanistische Kommunikationsmodelle empfehlen bei zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und Problemen in „Ich-Botschaften“ zu kommunizieren. Das heißt, anstelle von Beschuldigungen und Vorwürfen drückt man das aus, was in einem selbst vorgeht.
Statt: „Du Vollidiot“ oder „Es ist wirklich schrecklich mit dir“ sollte man sich besser folgendermaßen ausdrücken:
„Ich bin ratlos, wie ich dir das verständlich machen soll“ oder „Ich bin frustriert, wenn du zu spät kommst, weil mir Pünktlichkeit wichtig ist.“
„Ich-Botschaften“ galten und gelten zum Teil immer noch als das Non-plus-ultra, um negative und sogar aggressive Mitteilungen loszuwerden ohne den verletzenden Stachel der „Du-Botschaft“ auszufahren.
Eine Kommunikation, bei der man vor allem bei sich selbst bleibt, scheint Ehrlichkeit und Annehmbarkeit miteinander zu verbinden.
Bei „Ich-Botschaften“ liegt der Vorteil darin, dass man, bevor man sich mitteilt, sich zunächst klar darüber werden muss, was in einem selbst vorgeht. Man geht der Frage nach, was das Ganze, also die Situation, mit einem selbst zu tun hat. Auf die Frage nach dem Eigenanteil wird ein besonderes Augenmerk gelegt.
Und es stimmt, dass dadurch Vorwürfe und Beschuldigungen einer ehrlichen Selbstoffenbarung Platz machen. Und doch umfasst diese Sichtweise nicht die ganze Wahrheit.
Denn hast Du schon einmal versucht, all Deine gedachten „Du-Botschaften“, also Vorwürfe und Beschuldigungen, in eine annehmbare und selbst reflektierte Ausdrucksweise, also „Ich-Botschaften“, zu wandeln?
Dann ist Dir bestimmt auch schon mal aufgefallen, wie „gestelzt“ oder gekünstelt das Ganze gewirkt hat. Geschweige denn, wie schwierig es gerade in Konfliktsituationen ist, bei sich zu bleiben.
Denn um eine „Ich-Aussage“ zu machen, muss es erstmal ein „ICH“ geben. Nur dann kann ich fassen, was in mir vorgeht. Doch genau dieses „ICH“ ist in emotional verzwickten Momenten oftmals nur spärlich zugänglich.
Oder weißt Du immer, wo genau der Knackpunkt liegt und wo der Schuh drückt? Mir zumindest fällt eine solche Eigenreflektion oft schwer, gerade in emotionalen Momenten.
Eine spontan einfallende „Du-Botschaft“, eingebettet in eine darauf folgende und klärende Auseinandersetzung, kann somit genau das Richtige sein um „dahinter zu kommen“, was sich innerlich abspielt.
Ganz abgesehen davon, dass man sich so viel authentischer vorkommt. Denn wo ein „ICH“ nicht zugänglich ist/wo ein „ICH“ nicht empfunden wird, wäre es alles andere als ehrlich von „mir“ selbst zu sprechen.
Sich dies einzugestehen, kann Erleichterung verschaffen. Vor allem dann, wenn es einem schwer fällt „Ich-Botschaften“ zu formulieren, wie es uns in diversen Kommunikationsmodellen empfohlen wird.
Ein „DU“ dagegen, spiegelt oftmals viel ehrlicher den eigenen gegenwärtigen Bewusstseinszustand.
Wo ein „DU“ ist, kann ich auch nur von einem „DU“ sprechen
Anstatt als Kommunikations-Training „Ich-Botschaften“ zu üben, wäre es daher besser, die oftmals fehlende „Ich-Empfindung“ nach und nach zu ermöglichen und prägnanter zu machen um so irgendwann zu einer authentischen Form der „Ich-Botschaft“ zu kommen.
Mehr dazu im Artikel Kommunikation und der Zugang zu den eigenen Gefühlen.
Eine klärende Aussprache setzt die Selbstklärung voraus.
Und noch einen weiteren Vorteil kann eine „Du-Botschaft“ mit sich bringen:
Wer direkt und offen seinen Unmut oder Ärger ausdrückt, der ist danach befreit. Bei „Ich-Formulierungen“ dagegen besteht die Gefahr, dass man den nicht offen ausgedrückten Ärger weiter mit sich herum trägt. Der Gesprächspartner spürt, dass die „Ich-Botschaft“ nur die halbe Miete ist, hat aber keine Gelegenheit konkret Stellung zu nehmen, da ja offiziell nichts ausgesprochen wurde.
Fazit: Du-Botschaften können authentischer sein und Spannungen lösen
In Augenblicken des Aneinandergeratens kann es durchaus heilsam sein gegen alle Regeln der Gesprächsführung zu verstoßen und spontan die Luft herauszulassen. Vorausgesetzt, dass die Beteiligten so zueinander stehen, dass eine klärende Nachbesprechung selbstverständlich ist und beide an einem förderlichen und respektvollen Miteinander interessiert sind.
Frustriere also nicht, wenn Dir ab und an Beschuldigungen und Vorwürfe herausrutschen. Arbeite einfach weiter an einem besseren Zugang zu Deiner eigenen Innenwelt und die „Du-Botschaften“ werden im Laufe der Zeit wie von Zauberhand immer weniger.
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Dieser Artikel erschien ursprünglich am 16. Dezember 2010 und wurde zuletzt überarbeitet am 26. Juli 2023.
Ich finde, bei jedem Konflikt ist ein ICH. Zu einer Interaktion gehören immer zwei Menschen und wenn einen selbst etwas an der anderen Person stört, gibt es auch immer zwei Blickwinkel. Natürlich könnte man den für sich einfacheren Weg wählen und sagen: „Der andere macht das falsch.“ Man könnte aber auch mal sich selbst fragen: „Warum stört mich das?“ Klar, das ist anfangs schwer. Man wird alte Gewohnheiten nicht so schnell los, aber wenn man es dann geschafft hat, hören einem die Menschen viel lieber zu. Denn den anderen geht es genau so wie Ihnen. Sie wollen gehört werden und ihre Meinung soll die richtige sein. Wenn Sie also sagen, dass an Ihren Gefühlen ein Haken ist, dann fühlen sich die anderen akzeptiert. Es ist vielleicht ein wenig um den heißen Brei herumgeredet, aber wesentlich effektiver, wenn es um menschliche Interaktion geht. Ich könnte sagen: „Ihr Artikel zeigt den Weg der Faulen.“ Oder aber ich sage: „Ich selbst würde mich verletzt fühlen, wenn mir jemand immer direkt meine Fehler an den Kopf knallt. Deshalb finde ich diese Art unhöflich.“
Hallo,
vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Selbstverständlich muss sich mein Gegenüber wertgeschätzt fühlen und mir liegt nichts ferner als meinen Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen. Dennoch denke ich, dass es möglich ist, sowohl das zu äußern, was einem selbst an der Situation missfällt, als auch seinem Gegenüber mit Wertschätzung entgegen zu treten.
Herzliche Grüße,
Marion